Sophia - die Brücke zwischen Intelligenz und Spiritualität
Erst einige wenige jüngste Impulse gab es, welche für Gesundheit und Krankheit die zweite Daseinsebene des Menschen, i.e. die seelische Ebene miteinbeziehen (z.B. Antonovskys Salutogenese, diverse psychotherapeutische und komplementärmedizinische Ansätze).
Praktisch gar keine Berücksichtigung findet hingegen noch die dritte Daseinsebene des Menschen, die geistige Ebene.
Vielleicht darf also gewagt werden, die schrittweise Ergründung und Miteinbeziehung dieser dritten Daseinsebene des Menschen, i.e. der geistigen Ebene in unser Selbstverständnis und unser Handeln als diejenige Aufgabe zu bezeichnen, welche heute vor uns steht.
Der Begründer der Geisteswissenschaft und Anthroposophie, Rudolf Steiner, hat jedenfalls schon zu seiner Zeit (1924) zum Ausdruck gebracht, dass wir bei Fortgang der Geschehnisse in der Zeit um die Milleniumswende, also heute, „entweder an einem neuen Anfang oder am Grabe aller Zivilisation stehen werden“. Was er dabei unter neuem Anfang verstand, sprach er ebenfalls unmissverständlich aus: dass sich eine genügend große Anzahl an Menschen findet, die in ihrem Herzen Intelligenz mit Spiritualität verbindet (R.St.,GA 240).
Der Versuch, die aufkommende globale (ökonomische, ökologische, soziale und kulturelle) Krise durch rein technokratische und intellektualistische, also scheinbar pragmatische Ansätze zu lösen, würde sich seiner Ansicht nach hingegen als ausweglose Sackgasse erweisen. Um die von Steiner angeregte Aufgabe, „im Herzen Intelligenz mit Spiritualität zu verbinden“ umzusetzen, bedarf es neben eigenständiger Forschungsarbeit zunächst entsprechender Studiengrundlagen.
Viele der Aussagen von einstigen Universalgelehrten wie Paracelsus stehen heute allerdings wie eine Shpinx, also wie ein unlösbares Rätsel vor uns. Paracelsus verwendete etwa chemische und astronomische Begrifflichkeiten, um subtile innermenschliche (seelische, nicht-materielle) Prozesse zu umschreiben, z..B. ‚Merkurius/Quecksilber‘ für wässrige (Auflösungs- und Transformations) Prozesse. Als reine Rezepte wörtlich nachgeahmt, machen seine Angaben natürlich keinen Sinn und verschließen sich mit ihrem bildhaften Charakter weitgehend unserem heutigen rationalen und intellektuellen Verständnis. Obwohl man noch eine tiefe Wahrheit hinter vielen Aussagen von Paracelsus ahnen kann, so bleibt uns deren ursprünglicher Sinngehalt dennoch verborgen. Die scheinbare Widersprüchlichkeit und Unlogik seiner gleichnishaften Aussagen hat auch dafür gesorgt, dass seine Lehre aus heutiger wissenschaftlicher Sicht meist belächelt und aus dem Diskurs des offiziellen akademischen Lebens verbannt wurde.
Doch wer übernimmt die Aufgabe, dieses verloren gegangene bzw. unverständlich gewordene Wissen in einer für unseren zeitgemäßen Intellekt angemesssenen Weise neu zu formulieren?
In diesem Zusammenhang sind wir neben anderen wertvollen Quellen vor allem auf zwei für die Neuzeit wesentliche Kulturimpulse gestoßen, deren Begründer einerseits den herrschenden Anforderungen an klaren Forschergeist und rationalen Realitätsdiskurs Rechnung tragen und andererseits kraft ihrer geistigen Erkenntnisfähigkeit über die Grenzen unserer heute zwar auf das Äußerste zugespitzen, aber dennoch für ein ganzheitliches Erfassen limitierten Ratio hinausgehen konnten. – Die also jenen Erkenntnisschritt gültig vollziehen konnten, den bereits Aristoteles in seiner „Nikomachischen Ethik“ (VI) postulierte: Den Schritt von technè und episteme (dem Fachwissen und der wissenschaftlichen Erkenntnis) zu nous (der höheren intuitiven Vernunft, geistigen Einsicht).
Die Brücke zu "nous" bildet hierbei nach Ansicht von Aristoteles "sophia", die Weisheit.
